Tradition heißt nicht, Asche aufzubewahren, sondern die Flamme am Brennen zu halten.
Tradition heißt nicht, Asche aufzubewahren, sondern die Flamme am Brennen zu halten.

Bezirk Bozen: Franz Höfler Gedenkfeier in Lana

Er würdigte die Bedächtigkeit der Freiheitskämpfer. Eine Bedächtigkeit, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte Tirols zieht.

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(Fotos: Egon Zemmer)

 

 

 

 

Die Rede von Siegfried de Rachewiltz:

Franz Höfler : ,,Schneid” und Besonnenheit

Wenn wir heute vor dem Grabe eines Mannes stehen, der wegen seiner Überzeugungen einen gewaltsamen Tod erleiden musste und hier auch seiner Mitstreiter gedenken, die wegen ihrer Liebe zur Heimat viel Leid erdulden mussten, dann kann für mich die allererste Reaktion nur eine klare Absage an jede Form von Gewalt sein: Gewalt gebiert stets neue Gewalt, neues Unrecht, neues Leid.

Dabei spreche ich nicht einem utopischen Pazifismus das Wort: das Recht, ja die Pflicht zur Selbstverteidigung besteht auch angesichts dieses Bekenntnisses zur Gewaltlosigkeit.

Wir finden in der Tiroler Geschichte ein schönes Beispiel dieser Lebenseinstellung in jenem verbrieftem Recht, welches den Tirolern die Freiheit zugestand, nur zur Verteidigung der Landesgrenzen die Waffen ergreifen zu müssen.

Auch wenn im Laufe der Geschichte dieser oder jener Landesfürst dieses Recht missachtete, bis es schließlich völlig ausser Kraft gesetzt wurde und die Tiroler an allen erdenklichen Fronten ihr Leben lassen mussten, allein die Tatsache, dass man Verteidigungskriege als Pflicht empfand, nicht aber Angriffskriege und Eroberungszüge, spricht für sich.

Die Tiroler Bauern, d.h. der Großteil der Bevölkerung ,wusste genau dass Krieg nur Verwüstung und Elend bedeutet, dass es nur wenige sind, die davon profitieren und entsprechend schätzten sie die Zeiten, in denen Friede herrschte: der jahrhundertelange Überlebenskampf am Steilhang hatte sie gelehrt, dass nur mutige Besonnenheit einen wirksamen Schutz gegen die elementare Gewalt der Natur bietet und sie nur so ihr ,,Hoamat“ erhalten konnten.

Sehen wir uns die alten Lichtbilder an aus der Zeit als Franz Höfler und seine Mitstreiter in Ketten vorgeführt wurden, so erkennen wir dieselbe, über Generationen vererbte Ruhe und Besonnenheit in den Gesichtern dieser Männer und ihrer Frauen.

Und dazu bietet sich, gleichsam als Kommentar, wieder eine exemplarische Episode aus der Tiroler Landesgeschichte an: als Kaiser Friedrich Barbarossa im Kampf mit dem lombardischen Städtebund 1161 Mailand belagerte, öffnete sich eines Tages – so berichtet der Chronist Rahewin – eines der Stadttore und heraus stürmte ein stolzer lombardischer Ritter der lauthals verkündete, er würde jeden, der sich ihm in den Weg stellen sollte, augenblicklich ins Jenseits befördern. Da sei ein ,,comes de Tirol” – ein Graf von Tirol- ohne ein Wort zu sagen auf sein Pferd gestiegen, sei dem Mailänder in ruhigem Trab entgegengeritten und habe ihn aus den Sattel gehoben; danach sei er

genau so wortlos wieder in die Reihen der Seinen zurückgekehrt. Es ist dies das erste mal in der Tiroler Geschichte dass der Waffengang eines Tirolers geschildert wird, und es ist bezeichnend, dass der Chronist offensichtlich bestrebt war, in erster Linie die Gelassenheit des wortkargen Recken zu verewigen. Es ist dieselbe schweigsame Gelassenheit mit der ein Bauer, mit einem geschicktem ,,Fourtl“, einen großen Stein aus dem Weg räumt oder einen Baumstamm fortbewegt.

Was lediglich vor Augen führt, dass jene die letztendlich auch Mut beweisen, nicht unbedingt jene sind , die am lautesten schreien.

Franz Höfler und seine Mitstreiter haben für die Wiedervereinigung des geteilten Tirols gekämpft, für das Selbstbestimmungsrecht der Völker und das Recht die eigene Kultur, Sprache, Sitten und Bräuche hegen und pflegen zu dürfen. Was können wir dem noch hinzufügen?

Auch wenn es eine Zeit gab, in der Friedhöfe öffentliche Orte waren, an denen Gerichtsverhandlungen und Dorfrechtversammlungen abgehalten und Urkunden besiegelt wurden, so finde ich dass jener politische Überschwang, der manchmal auch in Gehetze umkippen kann, mit dem Respekt vor den Toten in einem Friedhof unvereinbar ist.

Aber man darf sich sehr wohl die Frage stellen: was ist von den Visionen, für welche diese Männer ihr Leben hingaben, heute noch geblieben?

Und hier bedarf es einer aufrichtigen Selbstkritik; das Tirol, für welches diese Männer kämpften, war ein anderes als jenes, in dem wir heute leben.

Ich will hier kein Klagelied anstimmen: wir wissen alle dass Fortschritt, Wachstum und Wohlstand sowohl Gutes wie auch Schlechtes mit sich bringen.

Die wesentliche Frage aber ist: haben wir in diesem radikal verändertem Umfeld unsere ldentität, unser Heimatbewusstsein, ja unser Selbst-bewusst-sein bewahren können?

Oder haben Eitelkeit, Habgier und Zwietracht uns jene ,,Schneid” abgekauft, die es heute braucht, um sich zu Tirol zu bekennen ?

Liebe Schützenkameraden: ich gebe nicht vor zu wissen , ob sich die Zukunft unseres Landes in einem Freistaat, im Rahmen einer verstärkten Autonomie oder in einem anderen Staatsgebilde besser gestalten ließe, aber eines weiß ich: eine echte, offene Diskussion darüber tut Not, ohne gegenseitige Ausgrenzung oder Dämonisierung, eine Diskussion an der sich alle hier lebenden Sprachgruppen beteiligen müssen.

Und noch eines steht fest: wenn wir Tirol und die Werte für die dieser Name steht nicht im Herzen tragen, dann ist es einerlei, für welchen politischen Weg wir uns letztendlich entscheiden.

Das ist keine leere Floskel: viele Volker der Erde haben von einer idealen ,,Heimat“ geträumt – ob Stadt oder Staat ist im Mythos einerlei – und entsprechend viele Sagen ranken sich um den Aufstieg – und dem Untergang – solcher ldealgebilde.

Auch Tirol kennt die Sage vom plötzlichen Untergang einer blühenden Stadt, dessen Wohlstand die Bewohner hartherzig werden ließ gegenüber Menschen in Not.

Ich möchte hier, als Anregung zu weiteren Gedanken, kurz aus einer afrikanischen Sage zitieren, die der deutsche Ethnologe Leo Frobenius 1909 in Togo aufgezeichnet hat: sie handelt vom Untergang und der Wiederauferstehung einer legendären Stadt namens Wagadu:

Viermal stand Wagadu im Tageslichte herrlich da; viermal ging es verloren, so dass die Menschen es nicht sahen: einmal durch die Eitelkeit, einmal durch den Bruch der Treue, einmal durch Habgier und einmal durch den Zwiespalt. Viermal hat Wagadu den Namen geändert. Viermal hat Wagadu das Gesicht gewandt. Einmal schaute es nach Norden, einmal nach Westen, einmal nach Osten, einmal nach Süden. Das sind die Richtungen, aus denen die Kraft Wagadus kommt und in denen sie fortzieht, gleichviel ob Wagadu

aus Stein, Holz und Erde gebaut ist oder nur wie ein Schatten im Sinn und in der Sehnsucht seiner Kinder lebt. Denn an sich ist Wagadu nicht aus Stein, nicht aus Holz, nicht aus Erde. Wagadu ist die Stärke, die im Herzen der Menschen lebt und einmal lebt.

Weil die Augen sie erkennen lassen..und einmal unsichtbar ist, weil sie ermüdet und durch die Gier der Menschen eingeschlafen ist.

Wenn Wagadu aber nunmehr zur vierten Male wiedergefunden wird, dann wird es so gewaltig im Sinn der Menschen leben, dass es nicht wieder verloren werden kann. Und dass ihm Eitelkeit, Bruch der Treue, Habgier und Zwiespalt nie wieder etwas anhaben können.“

Jeder kann diese Legende interpretieren wie er will: es geht jedenfalls um eine mehrmals „verlorene Heimat“ und der Hoffnung, dass sie schlussendlich so kraftvoll wieder auferstehen wird, dass sie nie wieder verloren gehen kann.

Die „Stärke, die im Herzen der Menschen lebt”, sie ist vergleichbar mit der

Charakterfestigkeit, welche viele der Männer und Frauen, dererwir heute gedenken, gekennzeichnet hat.

Charakter – ein interessantes Wort – leitet sich vom griechischen ,,charassein” ab, welches “einkerben, einprägen” bedeutet und sich aufd ie Buchstaben bezieht, die man in Stein gemeisselt hat.

In Bedeutungsübertragung hat man es dann auf die Eigenschaften

angewandt, die gewissermaßen in die Seele eines Menschen eingekerbt sind; ein Mensch von Charakter ist ein Mensch mit einer ausgeprägten Persönlichkeit, mit einem scharfen Profil, ja, warum nicht, auch mit Ecken und Kanten.

Und das führt uns wieder zurück zur Frage nach ldentitätsbewusstsein und

ldentitätsverlust: zum Ich-Bewusstsein eines Tirolers gehört nun mal eben auch die „Schneid” sowohl im Sinne von Mut und Selbstvertrauen, wie auch im Sinne jener kraftvollen und zugleich sanften Gelassenheit mit der ein erfahrener Mäher seine scharfe Sense durch das Gras zischen lasst.

Das alles kommt aber nicht von selbst: wir müssen unsere geistigen Sensen täglich dengeln und wetzen ,damit wir die nötige ,,Schneid” für neue Visionen erlangen.

Wie ein solcher Vorsatz konkret umzusetzen sei, darüber möge sich ein jeder

selbstständig seine Gedanken machen: wichtig dabei ist, sich nicht bevormunden zu lassen, von jenen die glauben, die Wahrheit gepachtet zu haben; ebenso wichtig ist es, auf unsere Sprache zu achten, damit Wörter nicht zu abgewetzten Parolen verflachen;

schließlich, beliebig verteilte Etiketten und leichtfertige Verallgemeinerungen immer wieder zu hinterfragen.

Trotzdem möchte ich mit einigen handfesten Überlegungen abschließen: gewiss gehört zur Bildung von ldentität – und zur Bildung schlechthin – das Aufsuchen von Orten der Besinnung, wie es dieser Friedhof hier ist, der uns nicht nur an unsere Vorfahren gemahnt sondern möglicherweise auch vor Eitelkeit und Selbstgefälligkeit bewahren kann.

Es gibt dann aber auch, nicht weit von hier, ein mit viel Mühe und Sorgfalt aufgebautes Obstbaumuseum, welches im wahren Sinne des Wortes auch ein Heimatmuseum ist: Zur Bildung von ldentität ist die Liebe zum Detail unerlässlich zu wissen, wie die alten Apfelsorten hießen oder wie man die Teile eines Leiterwagens bezeichnete, das sind Dinge, die unser Leben befruchten und bereichern, weil es gleichsam Schlüssel sind, mit denen wir Türen öffnen können, die uns Einblick gewahren in unsere Vergangenheit.

Die Liebe zum Detail, das aufmerksame, neugierig forschende Auge, das ist es, was wir unseren Kindern vererben sollten. Wir sollten sie zum Beispiel lehren , sich nicht mit minderen, verfälschten Speisen ,,abspeisen“ zu lassen – dies im übertragenen aber auch im wörtlichen Sinn, denn die Speisekultur spielt bei der Bildung von Identität eine ganz wesentliche Rolle.

Zusammenfassend: zwei Worte spielen bei der Bildung eines ausgeprägten

ldentitätsbewusstseins eine wesentliche Roller „kennen” und ,,können”. Sie sind miteinander verwandt, stammen von derselben Wurzel ab, so wie auch das Wort ,,Kunst” (ursprünglich ,,Wissen, Verstehen“) und die Adjektivbildung „kühn” (ursprünglich “wissend ,erfahren, weise”). Nur wer sich täglich kundig macht, wer seine Heimat immer wieder neu entdeckt , sie neu erkennt, wird sie verstehen und verinnerlichen, und wird so zu einem kühnen Könner.

Und ganz zum Schluss noch ein bescheidener, vielleicht auch nur ein frommer Wunsch: vielleicht gelingt es uns gemeinsam, die Politik dahin zu bewegen, dass sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die wesentlichen Werte unseres Daseins als Tiroler richte: wir haben einen solchen „Wert“ in unserem Blickfeld, denn von hier aus können wir hinüberschauen auf Schloss Tirol, den Amboss auf dem unser Land geschmiedet wurde. Es ist der identitätsstiftende Ort schlechthin, der alle Teile des historischen Tirols zusammenhält: ihn als solchen zu verstehen und zu vermitteln, ihn mit Leben zu erfüllen und aufzuwerten, diese Aufgabe sollte allen Tirolern eine immerwährende Verpflichtung sein.

Denn wie der Dichter sagt:

Was Du innig liebst, ist Dein wahres Erbe

Was Du innig liebst, wird Dir nicht weggerafft…

Mit Schützenheil und Schützenschneid!